Religion

Kultur

Religion

Obwohl die kommunistischen Staaten die Religionen nicht gerade willkommen hießen, überlebten sie darin als eine Form des politischen und geistigen Widerstands und waren an dem Zusammenbruch des sowjetischen Systems beteiligt. Laut der marxistischen Theorie begründete die Religion, das „Opium des Volkes” eine bürgerliche Gesellschaftsordnung und bewirkte die Entfremdung und Verklärung der Massen. Dieses Argument führte zur Verfolgung verschiedener Religionen – wie der christlichen, muslimischen und jüdischen – zunächst im bolschewistischen Russland, dann in den Ostblock-Ländern nach 1945. Dennoch liquidierten die sozialistischen Staaten die Kirchen nicht einfach. Zum einen mussten die Regierungen mit Aufruhr rechnen, würden sie mit den alten Traditionen brechen, denen sich das Volk stark verbunden fühlte. Zum anderen konnten sie so die Gemeinden verstärkt kontrollieren. Dennoch wurden ab den 1920er Jahren in der UdSSR eine Reihe von anti-kirchlichen Verordnungen eingeführt, die u.a. massive Deportationen von Geistlichen legalisierten. Zudem versuchte die GPU (Vorläuferorganisation des Geheimdienstes KGB) die Kirche von innen zu schwächen: Mit Unterstützung einer schismatischen Bewegunginfiltrierte die kommunistische Regierung die alte Synode und ließ regimekritischer Bischöfe verhaften. Außerhalb des Bereichs der offiziellen Institutionen fand weiterhin ein geheimes religiöses Leben unter dem Kommunismus statt. Diese überraschende Kontinuität der religiösen Praxis kann als ein Gegenmittel zum herrschenden Totalitarismus angesehen werden: Die Kirchen mögen damit als der einzige Ort erschienen sein, wo man noch frei denken und handeln konnte und dabei denen eine strukturierte „Gegenkultur" bot, die sich dem Kommunismus entziehen wollten. In diesem Sinne erneuerten sich in den 1970er Jahren die Religionen in Litauen und Polen, sowie in geringerem Maße in Rumänien, der Tschechoslowakei, Ungarn und sogar Bulgarien und Albanien. Mit der Entfaltung nationalistischer Bewegungen in den post-kommunistischen Staaten seit 1989 wuchs auch die Bedeutung jener Bewegungen, die sich bemühten, das identitätsstiftende „religiöse Erbe“ wiederzubeleben. Es lässt sich möglicherweise sogar behaupten, dass in einigen dieser Länder die Religiosität jenes Vakuum füllte, das geschaffen wurde, als die marxistisch-leninistische Idee verschwand.

Themenarchiv

Mönche aus dem Heiligen Himmelfahrtskloster von Potschajiw (Ukraine), die aktiv am Zweiten Weltkrieg teilgenommen hatten

Von 1917 bis 1940 wurden im bolschewistischen Rußland 75.000 Kultstätten zerstört und 600 Bischöfe, 40.000 Priester und 120.000 Mönche ins Lager deportiert.

Land: Sowjetunion / Jahr:

Von 1917 bis 1940 wurden im bolschewistischen Rußland 75.000 Kultstätten zerstört und 600 Bischöfe, 40.000 Priester und 120.000 Mönche ins Lager deportiert. Zum Zeitpunkt der deutschen Invasion, während des Zweiten Weltkriegs, als sich Stalin mit einer Niederlage konfrontiert sah, appellierte er an die Kirche und versprach eine teilweise „Renaissance“ im Gegenzug zur „absoluten Loyalität.“ Die Verfolgung begann dann wieder unter Chruschtschow im Jahre 1959.

Wallfahrt zu der schwarzen Madonna in Częstochowa, Polen 1976

Da viele Kultstätten von den kommunistischen Behörden geschlossen oder zerstört worden waren, mussten die Gläubigen improvisieren wie beispielsweise hier in Polen 1976

Land: Volksrepublik Polen / Jahr:

Da viele Kultstätten von den kommunistischen Behörden geschlossen oder zerstört worden waren, mussten die Gläubigen improvisieren wie beispielsweise hier in Polen 1976, wo sie den Beichtstuhl in Częstochowa zur stellvertretenden Pilgerstätte der Schwarzen Madonna umfunktionierten.

Berlin, 1987. Aktivisten aus der „Kirche von Unten“- Bewegung

Ab 1987 verdeutlichten mehrere Aktionen die erhöhte Entschlossenheit und Kampfbereitschaft der oppositionellen Bewegungen, insbesondere der Christen.

Land: Deutsche Demokratische Republik / Jahr:

Ab 1987 verdeutlichten mehrere Aktionen die erhöhte Entschlossenheit und Kampfbereitschaft der oppositionellen Bewegungen, insbesondere der Christen. Dazu gehörten die Mahnwache gegen polizeiliche Interventionen in der Zionskirche in Ost-Berlin im November und die Demonstration der Initiative „Kirche von unten", an deren Gründung auch der Theologe und Bürgerechtler Friedrich Schorlemmer beteiligt war. Später trat dieser dem „Demokratischen Aufbruch“ bei, einer der beiden wichtigsten Oppositionsbewegungen, die im Herbst des Jahres 1989 entstanden sind.

Muslime beten in Usbekistan (1981)

Von 1920 bis 1989 behandelten sowjetische Behörden den Islam und die Orthodoxie ausschließlich als kulturelle Traditionen und erlegten ihnen drastische Bedingungen und strenge Beschränkungen auf.

Land: Sowjetunion / Jahr:

Von 1920 bis 1989 behandelten sowjetische Behörden den Islam und die Orthodoxie ausschließlich als kulturelle Traditionen und erlegten ihnen drastische Bedingungen und strenge Beschränkungen auf. Damit erklärten sie alle praktizierenden Gläubigen zu potentiell Verdächtigen oder Nicht-Staatsbürgern. Doch die Behörden konnten quasireligiöse beziehungsweise semikulturelle Handlungen nie ganz ausrotten, wie dieses gemeinsame Gebet in Usbekistan zeigt.

Atheismus-Unterricht für Kinder

Von 1917 an wurden unzählige Kultstätten in der Sowjetunion entweder zerstört oder in Kinos, Fabriken oder Lagerhallen umgewandelt.

Land: Sowjetunion / Jahr:

Von 1917 an wurden unzählige Kultstätten in der Sowjetunion entweder zerstört oder in Kinos, Fabriken oder Lagerhallen umgewandelt. Es ging darum, die Massen von ihrem "Opium" im Namen eines staatlich verordneten Atheismus zu befreien, der ab einem jungen Alter gelehrt wurde.

Juni 1979: Papst Johannes-Paul II. am Siegesplatz in Warschau anlässlich seiner ersten offiziellen Reise nach Polen

Trotz staatlicher Schikanen wuchs im Polen der 1970er Jahre der Einfluss der Kirche – und so auch ihre Rolle bei der Schaffung der nationalen Einheit.

Land: Volksrepublik Polen / Jahr:

Trotz staatlicher Schikanen wuchs im Polen der 1970er Jahre der Einfluss der Kirche – und so auch ihre Rolle bei der Schaffung der nationalen Einheit. Die Reisen des neuen polnischen Papstes Johannes-Paul II. verstärkten diesen Trend. Seine berühmte Rede "Fürchtet euch nicht", die er anlässlich seiner ersten päpstlichen Ansprache am 22. Oktober 1978 hielt, erklang den Polen geradezu als ein Befehl. „Die gesamte historische Erfahrung, die sich „Polen“ nennt, müsst ihr mit in die Zukunft nehmen!“ riet der Papst im Juni 1979 einmal mehr der Menge in Krakow. „Scheut die Mühe nicht! Nehmt euch nur in Acht vor Gedankenlosigkeit und Verzagtheit!“

Filmmaterial der Stasi: Überwachung von Menschen beim Betreten und Verlassen einer Kirche in Ost-Berlin im Jahre 1988

Trotz der Verfolgung des Klerus und der Schließung einiger Gebetsstätten ging das religiöse Leben weiter und bot sogar eine Art Gegenmittel zum herrschenden Totalitarismus.

Land: Deutsche Demokratische Republik / Jahr:

Trotz der Verfolgung des Klerus und der Schließung einiger Gebetsstätten ging das religiöse Leben weiter und bot sogar eine Art Gegenmittel zum herrschenden Totalitarismus. Die Behörden erkannten die Fortführung der religiösen Praxis als Form der Dissidenz. Es blieb ihnen lediglich die strenge polizeiliche Überwachung der Versammlungsorte, vor allem durch die Stasi (Geheimpolizei der DDR).

Versammlung für die Redefreiheit in einer Kirche in Ost-Berlin im Jahre 1989

1978 hatten die evangelischen Kirchen in Ostdeutschland und das kommunistiscche Regime gemeinsam ein Konkordat unterzeichnet, das der Kirche zu mehr Akzeptanz durch den Staat verhelfen sollte.

Land: Deutsche Demokratische Republik / Jahr:

1978 hatten die evangelischen Kirchen in Ostdeutschland und das kommunistiscche Regime gemeinsam ein Konkordat unterzeichnet, das der Kirche zu mehr Akzeptanz durch den Staat verhelfen sollte. Daher hielt sie sich viele Jahre lang von jeglicher Art regimekritischer Bewegung fern. Doch 1987 bezeugten mehrere Aktionen eine erhöhte Entschlossenheit und Kampfbereitschaft auf Seiten der Opposition, die auch beim Klerus Einzug hielt. Dieser Aufruf des Bischofs an die Bevölkerung, ihre Redefreiheit auszuüben, ist ein klares Beispiel für religiöse Autoritäten, die die Linie zum politischen Widerstand überschreiten.

Taufen und religiöses Leben während der Perestroika

Sowjetische Behörden betrachteten Gläubige als marginal suspekt, was unter anderem erklärt, warum Eltern Angst hatten, ihre Kinder taufen zu lassen.

Land: Sowjetunion / Jahr:

Sowjetische Behörden betrachteten Gläubige als marginal suspekt, was unter anderem erklärt, warum Eltern Angst hatten, ihre Kinder taufen zu lassen. Die Verfolgung und Belästigung konnte die religiöse Praxis nicht ganz verhindern, obwohl sie gezwungen wurde, heimlich bzw. nur eingeschränkt innerhalb der Familie ausgeübt zu werden.