Gegenkultur

Kultur

Gegenkultur

Nach Stalins Tod im Jahre 1953 und während der Periode des „Tauwetters" zwischen den USA und der UdSSR, erlebte die Kultur im Ostblocks eine Phase, die Historiker als „einen intensiven Prozess der Verwestlichung“ in der Musik (dank der Jazz- und Rockmusik), in der Literatur, im Film und sogar in der Mode (Hippies) bezeichnen. Der westliche Einfluss hatte zum einen erheblichen Einfluss auf die Opposition in den jeweiligen Ländern; zum anderen fand sich durch ihn die Ostblock-Jugend aber auch in ihrer Identität bestätigt. Es ging ihnen dabei weniger darum, die westliche Kultur zu kopieren, als viel mehr, sie zu ihrer eigenen zu machen. In der Rockmusikszene wurden beispielsweise Texte in russischer Sprache komponiert und nicht einfach Titel von Jimi Hendrix oder The Doors gecovert. In den späten 70er Jahren hatten westliche oppositionelle Protestbewegungen, wie der Punk, den Eisernen Vorhang durchdrungen und wurden damit zum Ziel staatlicher Überwachung und Unterdrückung. Seit der Stalin-Ära hatte sich die politische Polizei an kulturelle Bewegungen geheftet. Die Unterdrückung hatte zwei Seiten: Zum einen war sie öffentlich und sichtbar – beispielsweise durch Verhaftungen und Zensur wie in der letzten Anti-Rock-Musik-Kampagne von 1982 durch SU-Generalsekretär Andropow – und zum anderen war sie diskret, wie z.B. als Infiltration durch ein Netzwerk von Informanten, die innerhalb der Avantgarde-Gruppen rekrutiert wurden. Doch die Haltung der kommunistischen Beamten des Ostblocks gegenüber Kultur war nicht ausschließlich unterdrückend. So versuchten sie die Gegenkultur auch zu vereinnahmen, indem sie einen Rahmen für sie schufen. Auf diese Weise entwickelten sich in der Tschechoslowakei und DDR in den 80er Jahren Jazzfestivals und während der Zeit der Perestroika russische Rockmusik. Die Musiker wurden zudem nicht länger für die Reaktionen des Publikums verantwortlich gemacht.

Themenarchiv

Stasiverhör eines Punks

Die Punkbewegung überquerte den Eisernen Vorhang in den späten 70er Jahren und schlug bald Wurzeln in der DDR.

Land: Deutsche Demokratische Republik / Jahr:

Die Punkbewegung überquerte den Eisernen Vorhang in den späten 70er Jahren und schlug bald Wurzeln in der DDR. Die Stasi, die ostdeutsche politische Polizei, sah dies als gegenkulturelle Manifestation, da das "Keine-Zukunft-Credo“ der Punks genau das Gegenteil der kommunistischen Ideologie war. Die Stasi setzte die Jugendlichen unter Druck, indem sie auf Polizeistationen zur „Klärung ihrer Situation“ gerufen wurden – der Sinn dahinter war, ihnen mit Geldstrafen zu drohen, um aus ihnen Informanten zu machen oder sie zur Armee zu schicken und sie so wirksam aus der Innenstadt zu vertreiben. In einigen Fällen wurden Jugendliche außerdem in sogenannten Jugendwerkhöfen untergebracht, wo sie z. T. gewaltsam zur „sozialistischen Persönlichkeit“ umerzogen werden sollten. Auch in der UdSSR wurden junge Anführer der Punkgruppen oft eingesperrt.

Karikatur des satirischen Magazins Krokodil: Mode

„Zügelt ihn!”

Land: Sowjetunion / Jahr:

„Zügelt ihn!” Mode konnte vor allem unter den jungen Leuten als antisowjetisch verstanden werden. Trotzdem hatte die sowjetische Textilindustrie seit Chruschtschow von westlicher Technologie und dem Einfluss der Stylisten von Dior, dem französichen Haute-Couture-Modehaus profitiert. Im Jahr 1965 durfte das sowjetische Volk sogar die internationale Mode beim Worldwide Fashion Festival in Moskau bewundern. Dennoch war die offizielle Auffassung unverändert: Kapitalistische Mode ist abzulehnen, weil sie übermäßig extravagant ist. Zumindest musste sie dem sowjetischen Diktat des "guten Geschmacks" (hinsichtlich der Farbkombinationen und Accessoires) entsprechen. Im Jahr 1958 zum Beispiel musste eine Lieferung finnischer Hosen, die als „Zoot Suit“ (Anzug) betrachtet wurden, entsprechend angepasst werden, bevor man sie auf dem sowjetischen Markt freigeben konnte.

Stasifoto von Hippies auf einem Musikfestival in Plauen, Ostdeutschland in den 70ern.

Die Hippie-Bewegung beeinflusste die Moskauer Jugend in den späten 60er Jahren.

Land: Deutsche Demokratische Republik / Jahr:

Die Hippie-Bewegung beeinflusste die Moskauer Jugend in den späten 60er Jahren. Sie sahen ihren westlichen Gegenstücken sehr ähnlich, und sie kamen in verschiedenen zwanglosen Gruppen zusammen, um mit mehr oder weniger Nachdruck Pazifismus, engere Ost-West-Verbundenheit oder eine Art Mystizismus zu fordern. So schaffte es die Hare-Krishna-Sekte, sich in den frühen 80er Jahren zu etablieren. 1987 wurde die Existenz der Sekte sogar offiziell genehmigt, während ihre Mitglieder zuvor für mehrere Jahre belästigt oder institutionalisiert wurden.

Sowjetische Werbung von Pepsi-Cola

Robert Woodruff, der äußerst anti-kommunistische Chef von Coca-Cola bis 1954, hatte sich geweigert in der UdSSR Coke zu produzieren. Also tat das sein Hauptkonkurrent, Pepsi-Cola.

Land: Sowjetunion / Jahr:

Robert Woodruff, der äußerst anti-kommunistische Chef von Coca-Cola bis 1954, hatte sich geweigert in der UdSSR von Chruschtschow, Generalsekretär der Kommunistischen Partei von 1953 bis 1964, Fabriken zu bauen oder Coke zu produzieren. Also tat das sein Hauptkonkurrent, Pepsi-Cola; und es war der internationale Direktor, Donald Kendall, der Richard Nixon, den Vize-Präsidenten der Vereinigten Staaten, zur American National Exhibition (amerikanischen Nationalausstellung) im Jahre 1959 in Moskau begleitete. Das Erfrischungsgetränk war außerordentlich erfolgreich, sowohl bei den Besuchern der Ausstellung als auch bei Chruschtschow selbst. Aber Pepsi durfte vor den frühen 70er Jahren nicht direkt in der UdSSR produzieren, war dann aber der erste amerikanische Konsumartikel, der direkt an sowjetische Bürger verkauft wurde.

„Heute spielt er Jazz, morgen wird er sein Land verraten”

azz wurde von den Ostblock-Beamten zwiespältig behandelt.

Land: Sowjetunion / Jahr:

Jazz wurde von den Ostblock-Beamten zwiespältig behandelt. Da es in den 40er und 50er Jahren als Werkzeug kapitalistischer Propaganda betrachtet wurde, wurden Jazz-Musiker häufig besonders streng behandelt. In bestimmten Phasen wurden sie stärker toleriert und selten sogar respektiert, vor allem in Ostdeutschland seit den 60er Jahren. Auch in Prag wurde so ein Jazz-Festival organisiert und Duke Ellington, Louis Armstrong und Ella Fitzgerald waren eingeladen, hinter dem Eisernen Vorhang aufzutreten. Auch Ostdeutschland machte sich seit den 70er Jahren international einen Namen in der Jazz-Szene – mit der stillschweigenden Zustimmung der Behörden.

„Röntgen-Platten”

Musikliebhaber im Ostblock griffen auf alle möglichen Tricks zurück, um Musik oder andere Inhalte der Gegenkultur in Umlauf zu bringen.

Land: Sowjetunion / Jahr:

Musikliebhaber im Ostblock griffen auf alle möglichen Tricks zurück, um Musik oder andere Inhalte der Gegenkultur in Umlauf zu bringen: Kopierte Kassetten, Gespräche mit Menschen im Westen, und sogar „Knochen", der Spitzname für eine Art Scheibe, die auf einen gebrauchten Röntgenfilm gepresst wurde. Diese Technik wurde in den 50er Jahren entwickelt, um Jazzmusik zu verbreiten und später auch für zensierte amerikanische Rockmusik. Für ein Zehntel des Preises einer Vinyl-Scheibe konnte man einen Sound hören, der zwar von geringerer Qualität, dafür aber einzigartig war. Sie konnte auf Schallplattenspielern laufen und das notwendige Zubehör war leicht zu besorgen. In den späten 50er Jahren wurden Leute für die Herstellung dieser „Röntgen-Platten” sogar inhaftiert.

„Attentat auf die Kultur“, ein tschechischer Propagandafilm, der sich über Untergrundmusik und –kultur lustig macht

„Attentat auf die Kultur“ ist ein Lied der tschechischen Rockband Aktuál der 1970er Jahre ...

Land: Tschechoslowakei / Jahr:

„Attentat auf die Kultur“ ist ein Lied der tschechischen Rockband Aktuál der 1970er Jahre. Seit den frühen 60er Jahren hatte die englische und amerikanische Rockmusik bei der tschechoslowakischen Jugend Anklang gefunden. Inspiriert von psychedelischem Rock und alternativer amerikanischer Musik wie Velvet Underground und Frank Zappa, entstieg die Gruppe „Plastic People of the Universe“ 1968 der Asche des Prager Frühlings. Die Zensur zwang sie, im Verborgenen zu bleiben. Der Staat drehte Filme, in denen ihre Musik lächerlich gemacht und ihr Publikum als Drogenabhängige dargestellt wurde, und ging gerichtlich gegen ihre Mitglieder vor, was bis 1976 andauerte. Mit der Unterstützung des tschechischen Dissidenten Václav Havel, dem späteren Präsidenten der Tschechischen Republik, führte dieses Gerichtsverfahren zur Charta 77, einem Manifest für die Freiheit der Meinungsäußerung, welches den Widerstand gegen das kommunistische Regime entschieden bestärkte.

Filmmaterial der Stasi: Punks in der Nähe der lutherischen Erlöserkirche in Berlin 1989

Die Punkbewegung überquerte den Eisernen Vorhang in den späten 70er Jahren und schlug bald Wurzeln in der DDR ...

Land: Deutsche Demokratische Republik / Jahr:

Sechs Monate vor dem Fall der Mauer filmte die Stasi (Ministerium für Staatssicherheit) mehr oder weniger betrunkene Punks in der Nähe der lutherischen Erlöserkirche in Berlin-Rummelsburg. Sinn dieser nicht wirklich diskreten Überwachung war es, Hinweise zu sammeln, die es der Sondereinheit „Punk“ der Stasi erlauben würden, Druck auf manche der Jugendlichen auszuüben und so aus ihnen IM (Inoffizielle Mitarbeiter), also Informanten, zu machen.