Feste

Kultur

Feste

Eine Militärparade auf dem Roten Platz, eine Arbeiterparade am Maifeiertag; Pioniere salutieren vor einer roten Fahne - all dies sind prototypische Bilder des internationalen Sozialismus. Sie heben hervor, inwieweit regelmäßig fest geplante, sich wiederholende, kollektive Feierlichkeiten ein integraler Bestandteil von kommunistischem Geist und Verhalten waren. In 'Was tun?' (1902) behauptet Lenin: “Der Akt des Beitritts ist die Wurzel der kommunistischen Bewegung.” Um aber der Sache dienlich zu sein, war es erforderlich, einen Teil des Privatlebens aufzuopfern. Also symbolisierten diese Feiern den sich immer wiederholenden Willen aller Individuen und aller Klassen teilzuhaben – an einem Ideal: dem Kommunismus – an einer Aktion: der Revolution (selbst in der etabliertesten Phase des Kommunismus) – und an einer Organisation: der Partei und ihrer verschiedenen Instanzen. In diesem Sinne gab es zahlreiche Feiertage (u. a. der Jahrestag der Oktoberrevolution oder der lokalen Revolutionen in verschiedenen Ländern), die alle mit fast schon religiöser Intensität gefeiert wurden. Damit wurde der "Akts des Beitritts" erneuert und lieferte eine Möglichkeit, die alten Feiertage zu ersetzen, die mit den "überholten Glaubensvorstellungen" (z. B. Weihnachten und Ostern) verbunden waren. Der Kult der Toten, vor allem der Märtyrer, wurde in der Sowjetunion weiter entfaltet (Helden der Revolution, der antifaschistischen Widerstandsbewegung und der Erbauung des Sozialismus): So legten beispielsweise Frischvermählte Blumensträuße an die Denkmäler des Großen Vaterländischen Krieges (Zweiter Weltkrieg). Um den Kult zu verstärken, wurden mehr und mehr dieser Statuen von sozialistischen Helden errichtet, von denen die bedeutendsten unter ihnen (die z. B. Lenin abbildeten) häufig die Arbeit sowjetischer Künstler waren – primus inter pares. Doch die Feiern für die Massen waren auch für fremde Augen bestimmt: Sie stellten die Geschlossenheit des Volkes mit seiner Führungsspitze, die organisatorischen und strukturellen Fähigkeiten der sozialistische Gesellschaft und die Allgegenwart des Staates zur Schau. Kurz: Die nicht-kommunistische Welt sollte beeindruckt werden. Der "Beitritt" wurde schon in einem sehr jungen Alter gefördert – z. B. in Jugendorganisationen wie dem Komsomol, der Kommunistischen Jugend oder der Pionierbewegung. In den frühen Tagen des Kommunismus ging das praktisch automatisch (außer in seltenen Fällen von "abweichendem Verhalten" oder "Widerstand" auf Seiten der Eltern oder Kinder), im Laufe der Zeit wurde aber immer mehr selektiert. Die Beitrittsbedingungen für eine Parteimitgliedschaft variierten je nach Land sehr: Während sie in Ostdeutschland (DDR) relativ allgemein waren, wurde in Polen viel mehr ausgewählt. Das Ereignis des Beitritts wurde streng ritualisiert – mit Uniformen, Ehrenbezeugungen, regelmäßig vorgetragenen Treueeiden und aufwendig inszenierten Initiationszeremonien. Besonders für die Integration verschiedener Gruppen von Kindern und Jugendlichen war der Beitritt von entscheidender Bedeutung, aber auch Feriengäste fügten sich so in die Gesellschaft. Sich zu weigern, an diesen Feiern teilzunehmen oder diesen Gruppen oder Organisationen beizutreten, war gleichbedeutend mit sozialer Ausgrenzung. Die politischen Aspekte reichten von kaum bis äußerst deutlich wahrnehmbar: Während ungarische Sommerferienlager am Balaton in den 1980er Jahren wie jedes andere Ferienlager waren (mal abgesehen vielleicht von den patriotischen Liedern), entwickelte sich zur gleichen Zeit in Ostdeutschland eine paramilitärische Jugendorganisation, die mit der Nationalen Volksarmee zusammenarbeitete und so die Militarisierung großer Teile der Bevölkerung vorantrieb. Der Beitritt gewährte auch eine Reihe von Privilegien – von den symbolischen (wie der Erbe des Kampfes zu werden und Vorreiter der Menschheit sein) bis zu den etwas konkreteren: zusätzliche Urlaubstage für jeden, der an der Maidemonstration teilgenommen hatte, der Erhalt seltener oder rationierter Produkte in Stimmbüros an Wahltagen in der UdSSR und sogar der Zugang zur Universität und zu begehrten Berufen und Arbeitsplätzen. Doch in den späten 1980er Jahren begannen viele Menschen, diese Feiern als dumpfe, bedeutungslose Zeitverschwendung zu betrachten. Andere nahmen aus Gewohnheit weiterhin teil. Die wirklich enthusiastischen Anhänger wurden immer seltener.

Themenarchiv

Alternativer Kalender der DDR

Da Marx die Religion als “Opium des Volkes” bezeichnete, war auch der religiöse Kalender verpönt. Es musste daher etwas Akzeptables gefunden werden, um die religiösen Feiertage zu ersetzen.

Land: Deutsche Demokratische Republik / Jahr:

Da Marx die Religion als “Opium des Volkes” bezeichnete, war auch der religiöse Kalender verpönt. Es musste daher etwas Akzeptables gefunden werden, um die religiösen Feiertage zu ersetzen. Es gab hierzu die großen, offensichtlichen Daten wie den 8. März, der Frauentag; der Maifeiertag als Feiertag des Arbeiters und den 7. November als Jahrestag der Revolution von 1917. Diese Postkarte zeigt, dass es in der DDR keinen Mangel an Tagen zum Feiern gab (obwohl wenige von ihnen gesetzliche Feiertage waren): Zum Beispiel der 1. März, Tag der Armee; den 5. Juni, Tag der Jugendbrigaden, den 8. November, Tag des Chemiearbeiters usw. – mit jeweils eigenen Traditionen, einschließlich Siegerehrungen und Eröffnungen. In Rumänien wurden Mitte der 80er Jahre zudem die Geburtstage von Nicolae und Elena Ceaucescu zu nationalen Feiertagen erklärt und stellten damit einen Höhepunkt des Personenkultes dar.

Der glücklichste Tag ihres Lebens

Nach der Unterzeichnung der Heiratsurkunde besuchen sowjetische Frischvermählte traditionell die Denkmäler in ihrer Stadt, um sich fotografieren zu lassen.

Land: Sowjetunion / Jahr:

Nach der Unterzeichnung der Heiratsurkunde besuchen sowjetische Frischvermählte traditionell die Denkmäler in ihrer Stadt, um sich fotografieren zu lassen. In vielen neueren Städten gehört dazu auch ein riesiges zentrales Denkmal, das die Soldaten ehrt, die im Großen Vaterländischen Krieg, der offiziellen Bezeichnung des Zweiten Weltkriegs in der Sowjetunion, gestorben sind. Manchmal legt das junge Paar sogar einen Kranz vor die ewige Flamme. Der Gedanke dahinter ist, den sowjetischen Patriotismus aufrecht zu erhalten und die Erinnerung an die Opferbereitschaft der glorreichen Roten Armee am Leben zu halten.

Fest zum Winterende

Trotz der vielen offiziellen sozialistischen Zeremonien, die das tägliche Leben unterbrachen, überlebten einige traditionelle heidnische und volkstümliche Feste, obwohl die Behörden ein scharfes Auge auf sie warfen.

Land: Sowjetunion / Jahr:

Trotz der vielen offiziellen sozialistischen Zeremonien, die das tägliche Leben unterbrachen, überlebten einige traditionelle heidnische und volkstümliche Feste, obwohl die Behörden ein scharfes Auge auf sie warfen. Masleniza zum Beispiel ist eine Art russischer Karneval, auch als Butter- oder Pfannkuchenwoche bekannt, und wurde durch die 60er Jahre hindurch als "Fest zum Winterende" geduldet. Damit sollte die Verwendung des alten Namens vermieden werden, der von der traditionellen Mythologie stammt. Trotzdem aßen die Menschen immer noch Blinis (symbolisiert die Rückkehr der Sonne), tanzten, sangen und gingen Schlitten fahren. Nach wie vor gab es auch riesige Freudenfeuer, um Bildnisse der Winterkälte zu verbrennen. Die Perestroika hob das Tabu des alten Namen "Masleniza" auf, der seitdem wieder verwendet wird.

Orthodoxie, trotz allem

Segnung der Kuchen in der Kirche am Karsamstag nach dem Ostergottesdienst, bevor sie zu Hause gegessen werden. Trotz – oder vielleicht gerade wegen – jahrzehntelanger Verfolgung ist die Orthodoxie nicht aus Russland verschwunden.

Land: Sowjetunion / Jahr:

Segnung der Kuchen in der Kirche am Karsamstag nach dem Ostergottesdienst, bevor sie zu Hause gegessen werden. Trotz – oder vielleicht gerade wegen – jahrzehntelanger Verfolgung ist die Orthodoxie nicht aus Russland verschwunden. Viele koptische Päpste und Gläubige wurden verfolgt, andere vom KGB manipuliert und eine Vielzahl an Kirchen wurde geschlossen, zerstört oder nur als Lagerhallen verwendet. Dies hat zum Ergebnis, dass nur noch wenige Menschen – größtenteils auf dem Land – den alten Ritualen nachgehen: Wenn sie es tun, laufen sie Gefahr, von der Arbeit gekündigt oder vom Komsomol ausgeschlossen zu werden. Aber fast jeder genießt noch immer ein traditionelles Osterabendessen, mit rot gefärbten Eiern (mit Zwiebelschalenfarbstoff) zum Symbol für das Blut Christi. Am Tag vor Ostern – der als chistlicher nicht mehr existiert – verkaufen die sowjetischsten Bäckereien "Frühlingskuchen", dessen Form und Geschmack sich nicht vom traditionellen Osterkuchen unterscheidet. Seit Beginn der Perestroika, gefolgt vom Zusammenbruch des Kommunismus, erlebte die Orthodoxie einen enormen Aufschwung.

Ich bin ein junger Pionier der Sowjetunion!

Die Rituale für den Eintritt bei den Pionieren, wie die Musik und die roten Halstüchern, gehen auf Lenin zurück.

Land: Sowjetunion / Jahr:

Die Rituale für den Eintritt bei den Pionieren, wie die Musik und die roten Halstüchern, gehen auf Lenin zurück. Kinder ab 9 Jahren gelobten die UdSSR zu lieben und die KPdSU zu verteidigen. Ihre Aktivitäten reichten vom Pfadfindertum bis zum Aufsammeln von wiederverwertbarem Müll. Es war undenkbar – gleichbedeutend mit dem sozialen und politischen Tod – für die Kinder einer normalen sowjetischen Familie, nicht den Pionieren beizutreten.  

Helden der Arbeiterklasse

Über 40 Jahre lang erscheinen einmal im Jahr am 1. Mai glückliche, bunte Menschenmengen, nach der offiziellen Rhetorik, um ihre Entschlossenheit zu demonstrieren.

Land: Tschechoslowakei / Jahr:

Über 40 Jahre lang erscheinen einmal im Jahr am 1. Mai glückliche, bunte Menschenmengen, nach der offiziellen Rhetorik, um ihre Entschlossenheit zu demonstrieren und in Richtung einer siegreichen, strahlenden Zukunft, in Richtung Kommunismus zu marschieren. Wie in diesem Bericht 1978 für das tschechoslowakische Staatsfernsehen deutlich zu sehen ist, zelebriert dieser Feiertag die Arbeit und die Arbeiter als Helden des Tages. Die Bevölkerung, die in arbeitsplatzbasierten Delegationen innerhalb der Parade organisiert war, baute eine künftige kommunistische Gesellschaft durch ihre Arbeit auf. Die Parade war ein Marsch für die Massen, sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinne. Das ganze Land und alle Länder marschierten gemeinsam zur gleichen Zeit (die Paraden in anderen europäischen Hauptstädten warteten immer auf jene auf dem Roten Platz, die das Signal zum Start gab) und in die gleiche Richtung, auf das gleiche Ziel zu. Die Parade war eine Darbietung der gesamten Geschichte der Arbeiterbewegung, von den ersten Schritten unter Marx und Engels bis zum jeweils gegenwärtigen Tag mit Figuren wie K. Gottwald, dem "ersten Präsidenten der Arbeiterklasse." Durch die Parolen erfuhren die Menschen von den Höhepunkten des Jahres, welche Staats- und Regierungschefs zu diesem Zeitpunkt in der Gunst der sowjetischen Führung standen und was der jeweilige Produktionsstand des Jahres war – in anderen Worten, wie weit die Gesellschaft vorankam, auch wenn es noch ein langer Weg bis zum Kommunismus war ... Die meisten der "spontanen" Gelübde der Arbeitnehmerkollektive, die ihre Ziele für den nächsten Fünfjahresplan übertreffen wollten, wurden bei den Zeremonien am 1. Mai geschworen. Und zu guter Letzt war der 1. Mai eine Chance, um mit Vorbildern zu protzen und eine Darstellung der idealen Gesellschaft (Volksmilizen, sportliche Meister, Arbeitnehmerbrigaden) zur Schau zu stellen, sowohl für das einheimische Publikum als auch für ausländische Zuschauer.

Ein Jubiläum der Leugnung

7. Oktober 1989. Ostdeutschland wird von einer Welle von Fluchten und beispiellosen Demonstrationen erschüttert, aber die SED-Parteiführer wollen die Tatsachen nicht erkennen.

Land: Deutsche Demokratische Republik / Jahr:

7. Oktober 1989. Ostdeutschland wird von einer Welle von Fluchten und beispiellosen Demonstrationen erschüttert, aber die SED-Parteiführer wollen die Tatsachen nicht erkennen. Ein Fackelumzug am 6. Oktober und einen Tag später eine Militärparade: Festlichkeiten werden zum 40. Jahrestag von Ostdeutschland organisiert, als wäre alles ganz normal. Bis darauf, dass die Ressourcen der Partei erschöpft sind. Mit den Massen, die vor den westlichen Nachrichtenkameras zum Generalsekretär der KPdSU "Gorbi, hilf uns!" rufen, ist die Feier ein Fiasko.

Paraden: sehen und gesehen werden

Rituale, wie diese massive Militärparade auf dem Roten Platz zu Ehren der Oktoberrevolution, erfüllen einen doppelten Zweck.

Land: Sowjetunion / Jahr:

Rituale, wie diese massive Militärparade auf dem Roten Platz zu Ehren der Oktoberrevolution, erfüllen einen doppelten Zweck. Zum einen können sich Staats- und Regierungschefs ihrer Macht versichern. Die Parade ist nicht nur als eine öffentliche Zeremonie gedacht, sondern tatsächlich zum Nutzen des Politbüros, das sie aus Lenins Mausoleum verfolgt. Zum anderen soll es dem Ausland (sowohl Freund als auch Feind) zeigen, dass die Geschlossenheit zwischen der Partei und der Bevölkerung immer noch besteht und wächst und unter allen Umständen verteidigt wird. Die Paraden sind auch Gelegenheiten, um neue Militärtechniken zu enthüllen, sowie neue Mitglieder des inneren Kreises der Macht vorzustellen.